“Spannende Zeiten – große Herausforderungen” war im Team zu Start-Up Zeiten ein geflügeltes Wort. Natürlich verknüpft mit Action und durchaus auch mit Aktionismus. Und jetzt? Ist es auch spannend. Zu Hause sitzend.

Ich weiß definitiv nicht am Besten, was wir jetzt tun sollten. Ich bin aber höchstgradig fasziniert davon, wie schnell sich das Gefühl für Realität ändert. Deshalb – und vor allem, weil wir es bald schon nicht mehr nachvollziehen können werden, egal wie es ausgeht – eine persönliche Corona-Historie. Bis heute. Der Tag, an dem die EM um ein Jahr verschoben wird und kein Aufschrei erfolgt. Vor zwei oder drei Wochen wäre das noch undenkbar gewesen.

Das erste Drittel des Jahres habe ich mit Lernen und Erledigungen für unterschiedliche Kurse und Fortbildungen zu Hause verbracht. Und mich auf Skitouren im März und vielleicht April gefreut. Und dann Fernradtouren geplant. Und Klettern in Italien, dann Urlaub in Griechenland, …
Von fast einem Tag auf den anderen ist es nicht mehr vorstellbar, in zwei Monaten (!) nach Griechenland zu fliegen. Dabei kam es eigentlich nicht so überraschend, schließlich konnten wir ja China zuschauen. Eigentlich. Da dachte ich, dass es sicher so wird wie bei der Vogelgrippe und bei SARS und was es da so gab in den letzten Jahren. Das hatte keinerlei Auswirkung auf mein Leben und ich weiß weder Jahres- noch Fallzahlen.

Gerade habe ich gegooglet, wann es in Deutschland den ersten Corona-Fall gab. Am 28. Januar. “Die Gefahr, dass sich das Virus bei uns weiter verbreitet, sei aber nach wie vor gering, sagen Fachleute und Gesundheitsbehörden.” So hieß es im SWR2 Impuls. Das habe ich, wie wir wohl alle, gern geglaubt und den Rest der Meldung ausgeblendet. Letzte Woche waren es dann plötzlich sehr viele Fälle.

Erst vor einer Woche wurde im Unternehmen die Hausmesse abgesagt. Ende März hätten sich Tausende Kunden und Tausende Mitarbeiter im Headquarter getroffen. Vor einer Woche fanden noch einige, dass das übertrieben ist und man es nur macht, weil alle internationalen Großveranstaltungen abgesagt werden.

Zwei Tage später kam die kurzfristige Verschiebung des Konzerts von Bukahara (vom 13.03. auf Juli). Darauf hatten Laura und ich uns seit Monaten gefreut. Auf einmal ging es auch um kleinere Veranstaltungen…

Es lagen nur 40 Stunden zwischen “naja, dann gehen wir aber wenigstens Essen” als Konzertabsagenantwort und “äh, ich fahre jetzt los. Sollen wir uns wirklich treffen?” So schnell haben sich die eigene Einstellung und das Umfeld geändert. Klopapier, Mehl, Milch und Gemüse waren längst aus den Supermärkten verschwunden, als am Freitag Nachmittag die Stadt Stuttgart verkündet hat, alles außer Geschäfte zu schließen (also Museen, Kinos, Schwimmbäder, Theater, Fitnessstudios, …).

Sonntag, also vorgestern, morgen war ich um halb sieben im Schlossgarten laufen. Um diese Uhrzeit begegnet man auch sonst nicht unfassbar vielen Leuten. Aber doch noch einigen, die nach dem Feiern auf dem Heimweg sind, die zur Arbeit oder zum Bäcker gehen oder sich ebenfalls sportlich betätigen. An diesem Morgen war meine Bilanz nach einer guten halben Stunde joggen: Ein wütend kläffender Hund, der mich angefallen hätte (Herrchen: “nananana”. Danke für die Leinenpflicht!). Ein Radfahrer. Eine Joggerin. Zwei Polizeiautos. Und viele aufgeregte Papageien in der Plantanennallee. Ich bin tatsächlich extra durch den Hauptbahnhof gelaufen, um nachzuschauen, ob da noch Menschen sind und Züge fahren. Positiv! Ich hatte also doch nicht die Komplett-Quarantäne verpasst, juhu! Am Nachmittag war ich noch mal im Schlossgarten und da war bei 18 Grad und Sonnenschein die Hölle los. Die Deutschen halt (Ich sehe meine spanischen Freunde den Kopf schütteln)…
Dabei sind wir mittlerweile bei der Ansage, dass nie mehr als fünf Menschen gleichzeitig irgendwo sein sollen – in einem Abstand von 1,5 Metern. Und bloß kein Körperkontakt.

Dass ich am Montag noch ins Büro darf/sollte hat mich überrascht. Mein Mitbewohner wurde für fünf Wochen nach Hause geschickt. Gestern Nachmittag kam die Nachricht, dass jetzt alle Geschäfte, die nicht den Grundbedarf abdecken schließen. Also: Super-, Wochenmärkte und Apotheken: Ja, aber Shopping: Nein. Für mich persönlich deutlich weniger schlimm als die Schließung der Kletterhallen – und auch das: ledliglich etwas ungelegen. Aber… Wie viele Menschen genau haben jetzt kein Einkommen mehr? Für wie viele Wochen, Monate oder Jahre?

Übertreiben oder untertreiben wir? Hat sich das damals bei Kriegsbeginn auch so angefühlt? Diese Unsicherheit, wie lange der Ausnahmezustand dauert, wie schlimm es wird, was als nächstes kommt? Wann taucht der erste Corona-Fall in meinem direkten Umfeld auf? Habe ich es womöglich schon und merke es nicht? Wäre das nicht vielleicht sogar die allerbeste Variante von allen? Oder die schlimmste, wenn ich andere, schwächere Leute anstecke, die womöglich daran sterben? Was wäre, wenn es meine Familie erwischt?

Dass Corona (hoffentlich!) eine once-in-a-lifetime-Erfahrung ist, lässt sich wohl nicht bestreiten. Und wir vergessen so schnell, wie es sich IN dieser Situation anfühlt, dass ich, v.a. aus Dokumentationsgründen für später, hier mein Corona-Tagebuch führe:

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