Im vergangenen Herbst erzählt mir Malte auf einer Heimfahrt aus den Bergen, dass das Stubai Marketing sich was Interessantes ausgedacht hat: die Seven Summits Stubai. Unter dem Begriff “Seven Summits” werden in der Bergszene die jeweils höchsten Gipfel der sieben Kontinente zusammen gefasst. Im Stubaital sind es nicht die höchsten, sondern “7 Berge mit Charakter”, denn “Größe zeigt sich auf verschiedene Arten”.
Bevor ich erzähle was wir daraus gemacht haben, muss ich kurz ausholen und den Beteiligten erst Respekt zollen. Durchdachte Konzepte, schöne Gesten und tolle Formulierungen begeistern mich, und hier kommt viel davon zusammen. Schon der Name, den man Bergsteigern nicht erklären muss…
Für Hüttenwanderer gibt es den Stubaier Höhenweg (8 Tage, 80 Kilometer, 8.000 Höhenmeter). Wie beschäftigt man die anderen Leute? Genau, die werden aus dem Tal auf Tagestouren geschickt. Je nach Gusto kann man Stubaier Bergseen, Naturschauplätze oder eben die Gipfel sammeln.
Und die sind so gewählt, dass für jeden was dabei ist. Vom Hausberg der Locals (Elfer) über den leichten Aussichtsberg (Hoher Burgstall) bis zur Gletscherhochtour auf den höchsten Berg Tirols (Zuckerhütl).
Unterstützung durch die Bergbahnen ist explizit vorgesehen. So schafft jedeR, der/die halbwegs bergfit ist drei Gipfel. Das reicht – sofern man seine Stempelkarte auf den Gipfeln gestanzt hat – für ein T-Shirt als Belohnung. Für alle sieben gibt es zusätzlich die Zirbe-Holztrophäe. Die motiviert mich weniger, Zirbe ist doch zum Trinken da?!
Laut Website wurden bei der Auswahl der Summits Touris, Einheimische und BergführerInnen eingebunden. Was für ein vorbildliches Stakeholdermanagement, um sicherzustellen, dass das Projekt auch Rückhalt findet. Da kann sich das ein oder andere Wirtschaftsunternehmen eine Scheibe von abschneiden.
Und Nutzen haben sowohl die Region als auch die Touris. Was mal als “na gut, stempeln wir halt” anfängt, spielt bei der nächsten Urlaubs-/lange Wochenendüberlegung vielleicht eine Rolle (“wir könnten noch zwei der Summits machen…”)? Zack, wieder ein paar Übernachtungen und Essen mehr. Ihr merkt, mir gefällt das Konzept. Auch die Ausführung. Ganz offensichtlich wurde Geld dafür in die Hand genommen, alles ist super umgesetzt (Online-Auftritt, Stempelkarte, Infotafeln). Gleichzeitig wurde für ein neues Angebot nur genutzt, was eh schon da ist. Sehr zeitgemäß.
Eine Kleinigkeit stört mich allerdings. Immer noch, hab mich nicht dran gewöhnen können. Hat es euch im vorherigen Absatz auch irritiert? Fürs Sammeln holt man sich den Stubai Outdoor Stempelpass. Und dann steht neben jedem Berg “hier stanzen”. Beim Stempeln wird etwas aufgetragen, beim Stanzen etwas weggenommen. Was denn nun? Das passt nicht zusammen! Malte schüttelt den Kopf und bezeichnet mich als Maschinenbau-Nerd. Ich habe mich noch nicht entschieden, aber ich glaube, ich nehme es als Kompliment.
DIE IDEE
So, zurück zu unserer Autofahrt. Malte schlägt vor, sich die Gipfel der Reihe nach vorzunehmen (aha, High Five an den Tourismusverband!) – für die Extra-Herausforderung (und damit man nicht absteigen muss) gerne mit Ski im Winter. Ich habe viel mehr Lust auf eine Runde und wittere die Gelegenheit, Malte für eine Wandertour zu gewinnen. Wandern mag er nicht, aber als Herausforderung verkauft…
Wohlgemut tippe ich also Seven Summits in die Suchfelder der einschlägigen Touren-Apps – davon ausgehend, dass ich nicht die Erste bin, die alle Gipfel miteinander verbinden möchte. Erstaunlicherweise jedoch: keine Ergebnisse. Bei Google finde ich ein Video: Der Weg auf die Seven Summits Stubai (Tirol Today). Zwei Brüder, Trailrunner aus dem Stubaital, haben genau das gemacht. Das ergibt eine hochalpine Runde mit 127 Kilometern und 11.000 Höhenmetern. An sich schon beeindruckend, aber der Knaller kommt noch: Die Verrückten sind das in 37,5 Stunden gelaufen! Am Stück! Ohne Pause!
Als ich es Malte zeige, ist sein Ehrgeiz geweckt. Wir sind zu wenig Trailrunner und zu wenig leidensbereit für eine solche Tort(o)ur. Aber das Ziel ist gesetzt: Wir wollen diese Runde machen – so schnell wie (uns) möglich. Aber nicht so bald wie möglich, denn es ist klar, dass Vorbereitung sein sollte und ein gutes Zeitfenster wichtig ist. Am geeignetsten ist wohl der Spätsommer mit der Kombi aus wenig Schnee und stabilen Wetterlagen.
DAS PROJEKT
Dann kommt die Nachricht mit dem Gebärmutterhalskrebs und der empfohlenen Hysterektomie. Und da passiert es irgendwie. Unsere lose Idee der Seven Summits-Runde wird zu meinem Reha-Projekt. Meine Motivation und das Ziel, schnell wieder fit zu werden.
Nun lässt der Titel des Beitrags vermuten, dass ich gar nicht so begeistert bin. Immerhin arbeite ich als Projektleiterin, das Wort “Projekt” kann prinzipiell nicht das Problem sein.
Profi-BergsteigerInnen leben von Projekten. Ehrgeizige KlettererInnen verbringen Wochen und Jahre mit einzelnen Routen. YouTube und Events wie das European Outdoor Film Festival oder Reel Rock (z.B. Reel Rock 17 Official Trailer) sind voll von Clips über (Extrem-)SportlerInnen und ihre Projekte. Michi Wohlleben, der den Wettersteingrat in 35 Stunden (4 min, YouTube) macht. Alex Honnold, der sich sieben Jahre auf seine Free Solo Begehung von El Capitán vorbereitet hat (wofür es den Oscar “Bester Dokumentarfilm” gab / National Geographic Portrait & Trailer), Jonas Deichmann, der einen Triathlon um die Welt (5 min, YouTube) gelaufen ist (Motto: Das Limit bin nur ich). Kaddi von den Bergfreundinnen, die die Strava-Krone für ihren Lieblings-Mountainbike-Trail (44 min, Podcast) wieder haben möchte. Sarah Hueniken, die den Lawinentod einer engen Freundin verkraften muss (“Not Alone” – inspirierend, aber heftig (44 min, YouTube)), …
Das sind alles faszinierende Geschichten, aber sowas wollte ich nie. Nicht mal auf meinem Niveau. So viel Zeit, Planung und Aufwand. In meiner Freizeit?! Und so viel Frust! Ich hab ja nicht mal Lust, eine Boulderroute, die ich nicht bei den ersten drei Versuchen schaffe, nochmal zu probieren. Ich sehe mich dementsprechend keine Kletterrouten eröffnen. Tja, und jetzt das…
Lust auf die Herausforderung habe ich ja schon. Nach der OP schnell wieder fit zu werden ist selbstverständlich. Und warum nicht mit einem definierten Ziel, das kein Wettkampf ist? Der Ehrgeiz (von dem ich immer sage, dass ich ihn nicht habe) springt an. Vielleicht ist es auch etwas anderes, denn das Zitat von Evelyne Binsack resoniert in mir (auch wenn ihre Expeditionen andere sind als meine):
“Ich bin deutlich angenehmer, wenn ich Auslauf hab. Aber natürlich kann das Training auch zu einem Getriebensein führen. Jeder, der Grenzen erfahren will, wird von irgendetwas angetrieben. Das hat nicht nur mit Freiheit zu tun, sondern mit Leidenschaft und vielleicht auch mit der Suche nach dem Glück. Auf meinen Expeditionen erfahre ich oft solche Glücksmomente. Dass es der Ehrgeiz ist, der mich antreibt, glaube ich allerdings nicht. Sonst hätte ich Wettkampfsituationen gesucht. Doch Wettkämpfe mag ich nicht. Darum ging ich als Grenzgängerin in eine Nische. Mich interessiert: Wie weit kann ich mit meinem Körper gehen? Wie fühlt sich diese Grenze an? Und was lerne ich dabei?”
Evelyne Binsack in “Himmelwärts. Bergführerinnen im Porträt”
Ihren Beruf gibt sie übrigens an mit “Abenteurerin, Referentin, Autorin, Helikopterpilotin, Filmerin, Sportartikelverkäuferin”. Mega.
Die Planung
Vier Tage nach der Operation liegen die Stubai-Karten zwischen uns auf dem Tisch und die Excel-Tabelle mit Entfernungen und Höhenmetern entsteht. Puh, bei drei Tagen wären es bei der Zorn-Brüder Runde im Schnitt täglich 42 km / 3.600 Höhemeter. Wir sind beide noch nie 3000 Höhenmeter am Tag gegangen. Geschweige denn in Kombination mit (mindestens) 30 Streckenkilometern. Und das mehrere Tage hintereinander.
Ich weiß von mir, dass bis 30 Kilometer (ohne so viele Höhenmeter) alles easy ist. Um die 35 Kilometer wird es anstrengend und ab 40 Kilometer macht es keinen Spaß mehr. Und quälen wollen wir uns nicht. Zumindest nicht so doll. Deswegen: wir strecken es auf vier Tage.

Für zwei der sieben Gipfel sind wir auf dem Gletscher unterwegs, das ganze Equipment muss also mit: Steigeisen, Pickel, Seil, Helm, Spaltenrettungsgedöns. Der Elfer ist über einen Klettersteig erreichbar (auf keinen Fall nehmen wir ein Klettersteigset mit) und dazwischen gibt es ein paar Kletterstellen und teilweise auch lange Verbindungswanderstrecken (30 “ereignislose” Kilometer / 2000 HM von der Rinnenspitze zum Zuckerhütl; 17 flache Kilometer zwischen Hohem Burgstall und Rinnenspitze).
Malte schlägt vor, ein Support Team zu organisieren und aus der Runde (also dem O) ein U zu machen, um die Nerv-Passagen zumindest zu verkürzen und die schwierigen Berge an den Anfang zu legen, wenn wir noch fit sind. Ja, aber…
Ich merke, wie ich innerlich zucke und hadere. Sicherlich beeinflusst von Ulligundes Podcast-Gästen frage ich:
Was ist dann mit by fair means?!
In der Bergsteigerszene ist Ethik ein riesiges Thema. Das liegt vermutlich zum einen daran, dass nicht – wie z.B. beim 100 Meter Lauf – alle gleichzeitig / bei gleichen (klimatischen) Bedingungen / auf dem gleichen Terrain starten und zum anderen gibt es oft keine Zeugen. Man muss sich auf die Wahrheit der Angaben verlassen können. Ob ich einen 8000er mit oder ohne künstlichen Sauerstoff besteige ist natürlich ein himmelweiter Unterschied. Ob mein ganzes Geraffel von anderen oder von mir selbst hochgetragen wurde auch. Ob ich meinen Weg selber spuren musste oder ob ich mich in eine ausgetretene (Fixseil-)Spur einreihe auch.
Mit immer besserer Ausrüstung und fitteren Menschen sind immer krassere Leistungen ohne zusätzliche Hilfsmittel möglich. Und darauf kommt es heute an. By fair means ist der Standard – wenn ich es anders mache, muss ich es offen legen. Das bedeutet: es sind keine technischen Hilfsmittel erlaubt; kein Hubschrauberanflug / Lifte / Seilbahnen; Start erfolgt aus dem Tal (idealerweise sogar aus eigener Kraft von der Haustüre weg); ganz streng genommen auch kein Gepäcktransport, Lasttiere, … Eine eindeutige Definition gibt es aber nicht.
Wie so oft im Leben “kommt es drauf an”
Was spricht dagegen, das “U” zu machen? Die Zorn-Brüder konnten von der Haustür loslaufen, natürlich machen die das O. Wir fahren sowieso hin und starten nicht zu Fuß/mit den Rad vor der Haustüre. Wir versuchen nicht, ihren Rekord zu unterbieten. Niemand hat vorgegeben, dass es eine Runde sein muss. Aber ich mag Runden. Das macht es einfach. Eindeutig. Ich willige erst ein, als ich herausfinde, dass wir mit den Öffis jeweils zum Start- und Endpunkt kommen.
Wie ist die Route geplant? Zunächst habe ich die Gipfel in der Reihenfolge in Komoot eingetippt, wie die Zorn-Brüder es im Video erzählen. Es erstaunt nicht, dass die sinnvoll ist. Als ersten Summit wählen wir das Zuckerhütl – den schwierigsten – und die Tour endet mit der Rinnenspitze. Als nächsten Schritt habe ich geschaut, welche Hütten es entlang des Weges gibt, und ob Wegstrecken noch anders geführt werden sollten. Allerdings: Oft gibt es keine Alternative, ich ändere fast nichts an der automatischen Auswahl.

Also: ca. 100 Kilometer / 10.000 Höhenmeter – bei 4 Tagen 25 km / 2250 HM im Schnitt. Das klingt doch machbar.
Und die Logistik? Ein Supportteam, das tageweise mitkommt? Die Zorn-Brüder haben ihre Steigeisen natürlich nicht zum Gletscher getragen. Sie lagen dort bereit und am Ende haben sie die von den Füßen gezogen und sind weitergelaufen. Freunde und Familie haben vor und hinter ihnen hergeräumt. Bei Speed erlaubt. Aber ich trage mein Zeug doch immer selbst. An den Gedanken, dass jemand meine Steigeisen aus seinem/ihren Rucksack zieht und ich sie ihm/ihr dann wieder reiche, daran kann ich mich nicht gewöhnen. Dass die abends jemand für mich ins Tal trägt, während wir weitermachen, okay, das ginge.
Weil ich so lange hadere, hat am Ende niemand Zeit (kurzfristig, unter der Woche…). Das macht aber nichts, denn wir stellen (fünf Tage vor Start) fest, dass das U unerwartete Vorteile hat: Zur Hälfte der Tour queren wir das Tal. Auf dem Hinweg können wir hier also (Wechsel-)Sachen deponieren und während der Tour das Gletscherzeug loswerden. Diesmal ist es Malte: Ist das noch by fair means? Ich finde es sehr fair. Wie ein Höhenlager am Everest (was liegt als Vergleich näher?!).

Können wir – mit gerade operiertem Bauch – ein Datum festlegen? Fällt uns schwer. Aber wir peilen August an.
Welche Schuhe tragen wir? Wollen und können wir den Gletscherabschnitt mit Steigeisen auf den halbhohen Zustiegsschuhen machen? Was ist zweckmäßig und wo wird es leichtsinnig? Das hat noch Zeit…
Erst mal kommt: die Vorbereitung.
Spannende Themen!
Ich möchte keinen Beitrag mehr verpassen, bin aber auch zu faul, hier regelmäßig nachzuschauen… Eine E-Mailbenachrichtung bei neuen Posts wäre toll!
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