Ich habe einen Kulturschock. Es parken Autos rechts und links am baumbestandenen Straßenrand (nicht, dass das eine Errungenschaft wäre, aber…)! Die Häuser sind ordentlich gebaut und verputzt! Es gibt Restaurants – mit Außenbereich! Leute mit unterschiedlichen Haut-, Augen- und Haarfarben! Supermärkte (Carrefour und Día, z.B.)! Die Taxifahrt durchs Zentrum zum Hostal ist aufregend. Es ist so anders als in Bolivien und diese Möglichkeit hatte ich komplett vergessen.

Als ich vor 14 Jahren in Argentinien/Patagonien war, meine ich, haben wir Geld am Automaten geholt. Das macht der Tourist heute nicht mehr. Die Argentinier dürfen in Relation zu ihrem Gehalt nur sehr begrenzt in USD wechseln. Gleichzeitig finden z.B. Auto- oder Immobilien(ver)käufe ausschließlich in USD statt. Logische Folge: Es gibt einen Schwarzmarkt, bzw. den Blue Dollar. Der ist gar nicht so geheim, der Wechselkurs ist Teil der Wirtschafts-/Börsennews im Fernsehen. Während ich am Automaten also 180 Pesos für einen Euro bekomme, sind es bei Western Union (warum die den Blue Dollar-Wechselkurs geben (dürfen), weiß ich nicht) 350. Kleiner Unterschied…

Warum der USD so wichtig ist, steckt zusammengefasst in einem Zitat der argentinischen Künstlerin Irina Werning: „Ich bin 46 Jahre alt und habe 36 Jahre meines Lebens eine zweistellige Inflation erlebt; im Durchschnitt waren es 80 Prozent pro Jahr.“ Ihre Fotos, mit denen sie auf die prekären Umstände in Argentinien aufmerksam machen möchte, kann man sich hier in einer Fotogalerie anschauen: „Zweimal im Jahr muss das Gehalt neu verhandelt werden“ (Spiegel).

Meine 200 Euro bekomme ich übrigens in 500 Peso-Scheinen (= 1,40 Euro) ausgezahlt. Ein ordentlicher Stapel. Der größte Schein im Umlauf: 1000 Pesos. 

SALTA

Auf dem Weg zu Western Union (am frühen Morgen) komme ich an zwei Banken vorbei. Vor jeder ist eine 100-Leute-Schlange. Wie Framing doch funktioniert: Bei Western Union sind nur 10 vor mir und ich freue mich. (Bin mir ziemlich sicher, dass ich ohne die Schlangensichtung gedacht hätte „was machen denn schon so viele Leute hier“.) Schlangen gibt’s auch vor manchen Sandwich-Restaurants und Drogerien und bei Carrrefour bin ich nicht einkaufen gegangen, weil 50 Einkaufswagen vor den Kassen warteten.

Im Yunga-Hostel teile ich mir das Zimmer mit einer Brasilianerin, einer Argentinierin und einer Bolivianerin – alle zwischen 35 und 40 Jahre alt. Beim Frühstück erzählt Jeniffer, dass sie bei der Präsidentenwahl einen leeren Stimmzettel abgegeben hat: Bolsonaro oder Lula, das ist Pest oder Cholera. Schreit Flor, die Argentinierin, auf: „Leer? Auf keinen Fall, die verkaufen deine Stimme dann! Ungültig machen muss man ihn.“ Das wird sie bei der argentinischen Wahl 2023 tun, denn korrupt seien sie alle (womit sie sicher Recht hat) und besser wird es mit keinem Kandidaten…

Flor macht in Salta eine Fortbildung und liebt es. Sie reißt uns mit ihrer Begeisterung (noch mehr) mit. Unsere gemeinsame Zeit ist ein Feiern des Lebens und der Möglichkeiten.
Umgebt euch mit solchen Menschen!

Die Leute in Salta sind toll. Beim Wasser kaufen, Empanada bestellen, … überall bekomme ich ein großes Lächeln geschenkt und werde in einer Variation von „que tal, mi reina/mi vida/preciosa/…? „ angesprochen (Wörtlich, was in unseren Ohren natürlich bescheuert klingt: Wie geht’s dir, meine Königin/mein Leben/mein Schatz?). Es ist wunderbar. Das argentinische Spanisch ist sehr eigen und sie haben noch mal ganz andere Wörter (playa ist hier (auch) der (bewachte) Parkplatz, Popcorn heißt pochoclo, …) – ich muss mich erst einhören. Sie sind aber eben nicht so zurückhaltend wie die Bolivianer und ich bin glücklich, dass das Scherzen (= lachen) wieder klappt.

Das ist gut, denn im Bus – der natürlich nur an expliziten Haltestellen hält – kann man nicht bar zahlen, sondern nur mit Karte. Also quatscht man jemanden an, ob er/sie zweimal stempeln kann. Easy. So mache ich meinen „Wanderausflug“ nach San Lorenzo. Nett. Auch Salta ist nett. Mit Cafayate, Cachi, den Salzseen und Purmamarca gibt es außenrum ein großes Ausflugsangebot, aber ich habe das Gefühl alles schon gesehen zu haben und bin faul. Erkunde lediglich die unmittelbare Umgebung und genieße die Stimmung im Hostel.

Bin – wie jeden Tag – von alleine gegen 6 Uhr wach, mache mir einen leckeren Instantkaffee (so lateinamerikanisiert…) und setze mich nach draußen. Es ist noch kühl, aber nicht kalt und die Vögel zwitschern – wunderbar. Übrigens die Uhrzeit, in der ich die meisten Blogtexte schreibe. 

In der Stadt merkt man deutlich, dass Weihnachten und das WM-Finale (Argentinien – Frankreich) vor der Tür stehen. Die ambulanten Verkäufer haben hässlich-bunte Weihnachtstischdecken, blau-weiße Vuvuzelas, Argentinien-Flaggen und Messi-Trikots im Angebot. Und kein Laden ohne WM-Special…

Frohe Weihnachten, Argentinien!

Ich werde das Finale am nordöstlichen Rand von Argentinien in Resistencia sehen und ausnahmslos alle Argentinier fragen: „Was willst du denn im Chaco? Da ist es so heiß, arm und die Moskitos sind furchtbar“. Mag ja sein, aber es ist auf der Landkarte ein logischer Stopp für mich. Dorthin sind es 12 Stunden im Bus – eine schöne Nachtbusfahrtlänge. Oder anders ausgedrückt: 800 Kilometer geradeaus. Hoffentlich schläft der Fahrer nicht ein.

RESISTENCIA

Tja, gut, dass es so viel gerade aus ging und gut (bzw. angenehm), dass der Bus fast leer war. Gegen Mitternacht muss ich sehr dringend auf die Toilette – und bei dem einen Mal bleibt es nicht… Hat mich der Durchfall also doch noch erwischt. Am „zivilisiertesten“ Ort meiner bisherigen Reise – was für eine Ironie. Und weil es die Situation am besten trifft: Was ein Kack!

Am Finaltag! Das finde ich überhaupt nicht lustig! Nach ein paar Stunden Schlaf schaffe ich es zum Anpfiff um 12 Uhr mittags in eine Bar und bin neidisch auf Wein, Bier, Sekt (!) und das argentinische Nationalgetränk Fernet Branca (mit Cola) um mich herum. Nach den 90+7+8 Minuten verlasse ich tiefgekühlt und schwach das Lokal – ich muss mich hinlegen. Während der zwei Stunden habe ich überlegt, wann ich das letzte Fußballspiel gesehen habe. Ich schätze, es war das WM-Finale 2014. Aber ich kann mich nach wie vor nicht erinnern, wo ich da war. (Dafür weiß ich, dass ich die Einzige im MTV-Freibad war, als Deutschland 2018 in der Vorrunde ausgeschieden ist und ich mit meiner Salatbestellung warten musste, bis das Spiel zu Ende ist – die kroatischen Kioskbesitzer saßen gebannt vor dem Fernseher).

Auf der Straße ist kein Mensch, nur ein paar, die schon mal Alkoholnachschub holen. Was in der Verlängerung und im Elfmeterschießen passiert höre ich, während ich mir Haferschleim koche, von draußen. Das sind Gänsehautmomente. Ich muss nicht auf den Fernseher schauen, um zu wissen, dass Argentinien es geschafft hat. Innerhalb von wenigen Minuten steigt der Lärmpegel – noch schneller als die Inflation – ins Unermessliche und die Kakophonie reißt über Stunden nicht ab.
Ich bin natürlich noch mal raus und finde, sie haben das ganz clever gemacht. Das innerste Quadrat um den (dauerhaft) gesperrten Hauptplatz ist für Autos abgeriegelt, hier spielt sich der Fuß- und Rollerjubel ab. Die nächsten zwei Quadrate außenrum sind die Autokorsostrecke – oder ein langer, lauter Stau. Ausnahmsweise laufe ich tatsächlich nur auf dem Gehweg (sonst ja immer auf der Straße) – Die Aufmerksamkeit der Fahrer lässt unter Endorphin, Massenablenkung und Alkohol sicher etwas nach…

Im Feiertubel fragt mich ein Argentinier, ob der WM-Titel in Deutschland genauso gefeiert würde. Definitiv, antworte ich ihm. Egal welche Stadt oder welcher Ort, es wäre laut, es gäbe ein Autokorso, die Leute würden sich im Zentrum sammeln, es würde viel getrunken. Es gäbe die Opportunisten-Feierer wie mich und diejenigen, denen der Titel wirklich etwas bedeutet und die sich sicher noch Jahrzehnte später an diesen Tag erinnern. Er gehörte zur zweiten Kategorie und hatte eine Marienstatue im Arm, die er ungefähr alle zwei Minuten abgeknutscht hat. Er war nicht der einzige (sowohl auf das Abknutschen als auch auf die Marienstatue bezogen). Der ein oder andere ist vor der Kirche auf die Knie gesunken und hat inbrünstige Dankesgebete gen Himmel geschickt. Das wiederum habe ich noch nie gesehen, genauso wenig wie einen Pferdekarren im Korso – aber vielleicht kommt es dafür darauf an, wo in Deutschland man ist?!

Tags drauf ist die Lage halbwegs stabil – ich habe wenigstens wieder unter Kontrolle, wann welche Flüssigkeit meinen Körper verlässt. Ich entscheide mich, die Magenkrämpfe ignorierend, in den Nationalpark Chaco zu fahren. Den Hinweg verschlafe ich komplett. Dort angekommen fährt mich eine nette Frau im Messi-Trikot mit ihrem Roller zum fünf Kilometer entfernten Parkeingang. Es ist keine Menschenseele zu sehen, aber irgendwo müssen Menschen sein… Ich freue mich über die Gelegenheit, meine Notfall-Trillerpfeife einzusetzen – es kommt trotzdem niemand. Dass die Guide, mit der ich in den letzten Tagen geschrieben habe, nicht da sein würde, hatte sich leider schon abgezeichnet, sehr schade. Der eine Fußweg ist gut ausgeschildert, starte ich eben alleine. Da sieht man nur leider nichts – ich weiß ja nicht mal richtig, nach welcher Flora und Fauna ich Ausschau halten muss. Als ich zurückkomme ist ein Parkwächter da, der sich entschuldigt: Sie haben mich gesehen, aber hatten ein Problem mit dem Wassertank. Und Wasser ist so knapp, dass das Vorrang hatte.

Im Park gibt es eigentlich mehrere Lagunen, die aber alle (fast) ausgetrocknet sind. Oktober bis Dezember sind eigentlich die regenreichsten Monate, also ein schlechtes Zeichen.

Ich mache noch einen zweiten Trail und laufe dann zurück ins Dorf – mir begegnet nämlich keine Menschenseele. Leider, denn bei 36 Grad ist das ganz schön mühsam. Auch wenn es ein unspektakulärer Ausflug war: Ich habe die absolute Ruhe und die Landschaft durchaus genossen.

Denn: es gibt wieder BÄUME! Die waren in Bolivien – war ja viel über 4000m – eher rar. Mein Schwärmen über Bäume hat den Taxifahrer in Salta ganz schön verwirrt – er hatte mich doch nur gefragt, wie mir die Stadt gefallen hat… „Was redet die da?!“ stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben und er hat das Gespräch abgebrochen.

Aus aktuellem Anlass (chronologisch fehlt noch bissl was…):

Frohe Weihnachten, feliz navidad und feliz natal!

Ich habe Advent und Weihnachten eigentlich ausgelassen und hatte mich schon gefreut, ein Jahr ohne Last Christmas zu verbringen. Und dann gestern, im Supermarkt (in dem ich mich zum Abkühlen aufgehalten habe): Wham! Hoffe, ihr konntet die Vorweihnachtszeit schon genießen und habt nun ein paar ruhige Tage vor euch.

🎁


Spannende Themen!

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Danke! Wir lesen uns dann bald…

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