ANGEKOMMEN!
Mein Taxifahrer steht im langen Daunenmantel in der Flughafenhalle von La Paz. So kalt? Das kann ja lustig werden. Es stellt sich schnell heraus, dass die Bolivianer ein anderes Kälteverständnis haben als ich. Meine erste Hitzeattacke habe ich auf dem Weg in mein Hotelzimmer. Fünfter Stock, kein Aufzug. Die Rezeptionistin stellt mir unterwegs unaufhörlich Fragen. Sehr nett, aber: Treppen steigen und reden gleichzeitig funktioniert auf 4000 Metern (noch?) nicht. Puh.
Ich hechele mich also bergauf (und freue mich über bergab). Gut, dass es so viele Gründe fürs Stehenbleiben gibt. Nein, da geht es natürlich nicht drum, wieder zu Atem zu kommen, sondern die Auslagen der Stände (Was gibt’s hier zu Essen?), Frauen in Tracht, Verkehrschaosszenen oder Gemälde an den Häusern anzuschauen.
Meine Erwartungen wurden untertroffen – es sind wenig Touristen unterwegs (und die sind zu 80% Franzosen) und die Stadt ist gar nicht so chaotisch überfüllt. Trotzdem stinkt es häufig. Nach allem möglichen, allem voran aber Urin und Abgase. Ich bewege mich erstmal in Kreisen um das Hostal herum, um die (gefühlte) Sicherheitslage zu checken: Tagsüber alles fein.
Nachts ist das wahrscheinlich anders. Bin von den Tagen so erledigt, dass ich mich auf mein Zimmer und Ruhe freue. Schlafen klappt leider nicht gut (Höhe?) – Halsschmerzen, laufende Nase und trockener Husten toben sich nachts in meinem Körper aus. Viele träumen ja wild in der Höhe, ich fülle Tabellen aus. Immerhin haben die mittlerweile nichts mehr mit der Arbeit zu tun, sondern zuletzt mit Routen für ein Frauenbergsteigerbuch. Klingt lustig, ist aber furchtbar. Bin immer froh, wenn die Nacht rum ist… Wenigstens der Verdauung geht’s gut.





STADTRUNDFAHRT IM TELEFÉRICO
Sightseeing und Stadtüberblick lässt sich hier auf außergewöhnliche Weise kombinieren. La Paz hat keine U-Bahn, sondern Gondeln (Teleféricos). Angesichts der Kessellage (Stuttgart ist ein Witz dagegen) macht das durchaus Sinn. Die mittlerweile sieben Linien wurden von Doppelmayr gebaut und das Skifeeling beim Einsteigen stimmt. Das ist wiederum nicht der bolivianische Volkssport und der Widerstand gegen die Bahnen war lange sehr groß. Verstehe ich, das kann sich ja kaum jemand vorstellen. Eine Fahrt kostet 3 Bolivianos (40 Cent), jedes Mal Umsteigen 2 BOB. Ob das überhaupt die Instandhaltungskosten deckt? Ich gondele also nach El Alto, oben an der Kante entlang und dann mit der gelben wieder runter nach Socopachi.



MICRO FAHREN, MUELA DEL DIABLO (3825) & DIA DE LOS MUERTOS
Vom Teleférico aus konnte ich die Felszacke des muela del diablo (Teufelsbackenzahn) sehen. Laut Lonely Planet ist das ein Vulkanpfropfen. Und gut für einen Halbtagesausflug. Taxi fahren kann jeder, ich will natürlich mit den Öffentlichen hinkommen. Laut Rezeptionisten brauche ich ein Micro, also einen Kleinbus, das nach Pedregal fährt. Vom Prado aus. Wie einem Internet doch manchmal gar nicht hilft… Für die Micros gibt es noch nicht mal geschriebene Fahrpläne. Ja auch keine Haltestellen, nur eine fixe Route. Auf der kann man jederzeit ein- und aussteigen. Man winkt dem Fahrer und wenn noch Platz ist hält er. Nach einem ersten Fehlversuch weiß ich zumindest: ich brauche Nummer 922 und stehe an der richtigen Straße.
922 kommt, ich winke, er hält, ich öffne die Schiebetür. Das Prinzip ist ja (fast) überall in Südamerika das gleiche, aber die Feinheiten sind spannend: grüßt man? (ja) Wer macht die Tür zu? (der, der aussteigt) Wie ist die Sitzreihenfolge? (man rückt auf und steigt notfalls mit aus, wenn man auf dem Notsitz sitzt) Was sagt man, wenn man aussteigen möchte? (bevorzugt: bajo en la esquina (ich steige an der Kreuzung aus). Quittiert der Fahrer meist mit einem kurzen Nicken und/oder einem scharfen Bremsmanöver – je nachdem, wie weit die “Kreuzung” noch weg ist) Dankt man dem Fahrer? (nein) Wie zahlt man? (man reicht dem Fahrer das Geld nach dem Aussteigen durchs Seitenfenster).
Also, raus in die Natur! Nach ein paar Serpentinen habe ich den Ort hinter mir gelassen und die Landschaft verändert sich mit jeder Kurve. Total verrückt, diese Panflötentürme aus Bröselstein! Und dass es hier oben so grün ist kommt auch unerwartet. Vom Backenzahn schaut man schön über La Paz, aber mich faszinieren diese Felsformationen viel mehr.




Auf dem Weg zurück ins Dorf komme ich am Friedhof vorbei. Der quillt vor (lebenden) Menschen geradezu über. Ach ja stimmt – Allerheiligen/-seelen bzw. día de los muertos. Hatte im Reiseführer gelesen, dass sich ein Friedhofsbesuch am 2.11. lohnt und mir (sehr deutsch) gedacht: was soll da denn Spannendes passieren? Es fängt schon damit an, dass ein Paceña (lokale Biermarke)-Zelt (!) auf dem Friedhof (!) steht und sich darunter die Kästen (die 650ml Flaschen, natürlich) nur so stapeln. Die Stimmung lässt keinen Zweifel daran, dass die klare Flüssigkeit in den 2l Cola-Flaschen mehr Prozente hat als Wasser. Mir sind die Leute zu aufdringlich, ich verlasse den Friedhof ziemlich schnell wieder. Für die Verstorbenen wird zunächst zu Hause ein Tisch aufgebaut, der ein paar symbolische Basics enthalten muss, ansonsten aber vor allem das, was der/die Verstorbene gerne mochte – Süßigkeiten und Wein inklusive. Am 02.11. wird das dann auf den Friedhof übertragen. Wenn man kurz (pseudomäßig) für den Verstorbenen betet, bekommt man etwas von den Gaben geschenkt… Wer clever ist, geht also bepackter nach Hause als hin.



Nach zwei Tagen hatte ich genug von der Stadt und flüchte erstmal…
HELLO AGAIN: TITICACASEE bzw. ISLA DEL SOL
2008 war ich während meiner Perureise schon mal am Titicacasee. Die Hafenstadt Puno habe ich als dreckig und negativ-nichtssagend im Kopf. Amantaní war unsere Übernachtungsinsel und es war saukalt. Die 200 Höhenmeter zum Heiligtum/Aussichtspunkt sind wir wie Schildkröten gekrochen und haben als Abendessen ein Stück Quietschekäse, 3 kalte, trockene Kartoffeln und zwei Salatblätter bekommen. Also nicht die besten Erinnerungen, aber ich dachte, ich gebe dem See noch eine Chance.
Schon alleine, weil der bolivianische Hafenort Copacabana heißt. Der ist ganz schön staubig und touristisch und auch hier gibt’s Stinkeautos. Eine Stunde später fährt das nächste Schiff zur (autofreien) Isla del Sol, und ich bin dabei. Die Inka betrachte(te)n die Insel als Geburtsort der Sonne und ihrer ersten Vorfahren. Ein paar Ruinen gibt’s auch noch anzuschauen.
Mich begeistert vor allem, dass die Sonneninsel ihrem Namen alle Ehre macht (kurze Hose!), dieses unglaubliche Blau des Sees, die wunderbaren Aussichten und die Ruhe. Tagsüber hört man Esel rufen, nachts idealerweise nichts. Wenns blöd läuft bellt ein (!) Hund stundenlang. Ich bleibe drei Nächte, auch wenn Schlafen auf 4000 Meter kein Spaß ist (siehe oben).
Meine kurze Hose-Freude ist hochgradig egoistisch. Es hätte schon längst regnen sollen/müssen. Um diese Zeit sollten Bohnen, Mais und Co schon sprießen. Sie sind aber noch nicht mal ausgesät, weil es im März den letzten Regen gab und alles festgebacken und trocken ist. Die indigene Community im Norden hat wohl bereits diverse Regenzeremonien veranstaltet, aber es ist weiterhin kein Regenwölkchen am Himmel zu sehen.
Also schon wieder ein schwieriges Jahr, obwohl die Pandemie/Quarantäne rum ist. Weil die Touris ausblieben, hatte kaum jemand Geld und der Tauschhandel wurde wieder gelebt – mein Quinoa gegen deine Kartoffeln. Der Forellenpreis war auf einem historischen Tief (10 BOB/Kilo, jetzt wieder zwischen 30 und 40), weil jeder Zeit hatte selbst angeln zu gehen.
Sowieso: Forellen! Haben angeblich die Europäer hier in den See gesetzt und in Copacabana und auf der Isla del Sol gibt es ÜBERALL Forelle. Daran kann ich mich aus Peru gar nicht erinnern. Wobei es unwahrscheinlich ist, dass die Fische sich an Landesgrenzen halten…
Als Touri wandert man hier vom Süden in den Norden (oder andersrum) zu den Ruinen. Alles auf sehr angenehmen Wegen mit wenig Steigung, ich musste mich diesmal nicht so schildkrötig fühlen. Und es war einfach wunderschön. Hab ich erwähnt, dass es so herrlich ruhig ist? Und der See so blau? Und nicht mal kalt! Und dass man im T-Shirt in der Sonne frühstücken kann?








Ratet, wer keine Lust hat, nach La Paz zurückzufahren…
Spannende Themen!
Ich möchte keinen Beitrag mehr verpassen, bin aber auch zu faul, hier regelmäßig nachzuschauen… Eine E-Mailbenachrichtung bei neuen Posts wäre toll!
2 Comments
Liebe Eli, danke für Deinen nachfühlbaren Bericht aus der Stadt und der Umgebung von Laz Pas. Der See wird wohl nicht zum Baden genutzt, keine Leute sind zu sehen.
Dir wünsche ich weiterhin wohlergehen und sende herzliche Grüße, Vater
Zum Baden eher selten – aber zum Klamotten waschen, Tiere tränken, fischen…