Mit dem Mountainbike über die Alpen hatte ich bisher nicht auf dem Plan. Aber dann kam Corona. Und auf einmal hatten auch die Leute Zeit, die sonst immer schon was vorhaben. So wie Lisa und ich. Lisa ist passionierte Mountainbikerin und schon mehrfach leichtere Alpenüberquerungen als Guide gefahren – inkl. Gepäcktransport und schicken Hotels. Sie hatte Lust, eine schwerere Überquerung auf eigene Faust zu machen. Und ich lasse mir so eine Gelegenheit nicht entgehen!
Wir radeln in 6,5 Tagen 400 Kilometer und 12.000 Höhenmeter durch 5 Länder. Ich liebe Europa.


Geregnet/gewittert hat es nur in Italien (und nach unserer Ankunft am Lago Maggiore). Und es war die bisher heißeste Woche des Jahres – selbst in den Bergen war es über 30 Grad warm.

Klassischerweise…
… gehen die meisten Routen von Oberstdorf an den Gardasee. Wenn “alle” was machen … dann möchte ich es anders. Wir entscheiden uns für ein Ende am Lago Maggiore Das klingt schöner, die Zugverbindung zurück nach Stuttgart ist besser und die Route ist mit dem E-Bike nicht machbar.
… bereitet man sich mindestens 6 Monate vor. Da wir schon fit sind haben uns vier Wochen gereicht. Genauer: drei weinbegleitete Abende, um Packliste und Route zu besprechen. Plus Besuche in der DAV-Bibliothek (ebenfalls eine Entdeckung. Grandios!), Radüberprüfung und eine Verschiebung vom Joggen hin zu Radtouren (ich übe das Fahren mit Klickpedalen).

Eigentlich waren wir auch nicht zu zweit unterwegs, im Geiste hat uns Achim begleitet. Auf der Suche nach Touren (lieber was erprobtes, als ohne Ahnung selber zu planen) zwischen nicht nur Straße und nicht zu schwer, ich kann schließlich nicht mountainbiken ist nicht so viel Spielraum. Achims Tour “ins Tessin” hat uns gleich gefallen. Die Beschreibung ist zwar dürftig, aber die GPS-Tracks waren top. Und bis auf eine Ausnahme, waren wir sehr glücklich mit unserem imaginären Tourguide und der Route. Wir haben keinen einzigen anderen Alpencrossler getroffen – das hat uns erstaunt. War aber auch okay, so haben wir alle Bewunderung abbekommen 🙂

Wer sein Rad liebt, der schiebt. Doch Alpencrosser hört man sagen: du sollst es besser tragen! (Man hat viel Zeit, sich sowas auszudenken…) Tatsächlich schadet es nicht, wenn man Wandern mag. Vom Einrollhalbtag abgesehen haben wir unser Rad jeden Tag getragen. Tragen ist deutlich bequemer als Schieben – vorausgesetzt es liegt perfekt kalibriert auf dem Rucksack. Übrigens, nein, keine Halterung. Und ja, wir wussten das vorher. Aber nicht, dass wir für die Abschnitte immer doppelt so lange brauchen wie von Achim angegeben.

Am zweiten Tag lernen wir das Tragen. Auf einer endlosen Almwiese, die wir ohne Weg nach oben queren sollen. Wo uns dann ein schmaler Wanderpfad erwartet. Ganz schön anstrengend. Das Lachen ist uns aber noch nicht vergangen, als wir feststellen, dass es sich komisch anfühlt und bescheuert aussieht, wie wir im Krebsgang – also seitwärts laufend – an den Felswänden entlang tänzeln. Gerade laufen geht nicht, dafür sind wir mit den Rädern zu breit und der Weg zu schmal…

Lieblingsszene: Die Pfälzerhütte liegt in Liechtenstein auf 2.000 Meter und ist ein beliebtes Ausflugsziel für E-Biker. Wir, mit unseren normalen Rädern, werden auf dem Weg hoch schon als Heldinnen bezeichnet. Abends fragt uns der Hüttenwirt, was wir am nächsten Tag vorhaben. Wir: über den Liechtensteiner Höhenweg zum Barthümeljoch, dann dort runter. Er reagiert nicht wirklich. Und fragt am nächsten Morgen: Und, wo fahrt ihr runter?. Wir wiederholen unseren Spruch und ernten ein IHR MEINT DAS WIRKLICH ERNST?. Er hat es für einen Scherz gehalten. Aber: Ja. Drei Stunden tragen wir das Rad über den Höhenweg, das Joch und dann auch noch ein gutes Stück runter, bis der Weg (für mich) wieder befahrbar ist. Das war das längste Stück, aber so läuft es an allen hohen Pässen: Irgendwann gibt es nur noch einen Wanderweg, wir schultern das Rad und stapfen los. Für mich eine angenehme Abwechslung vom Radeln. Noch dazu, weil das Panorama traumhaft ist und wir nur wenigen anderen Menschen begegnen (von denen niemand ein Rad trägt. Komisch.).

Die einzige Stelle, an der ich Achim nicht leiden konnte und gerne ein Kleinkind gewesen wäre, das sich schreiend auf den Boden werfen darf (und danach nicht mehr selber weiter laufen muss), war an Tag 6. Unvernünftigerweise (unsere Schuld) war die Etappe, die uns zum Comer See bringen sollte, mit 85 km die längste unserer Tour. Und unvernünftigerweise sagte Lisa schon seit dem Vormittag “ich schmecke schon den Aperol”. Um 13 Uhr sind wir seit 5,5 Stunden unterwegs, haben 2000 Höhenmeter in den Beinen, das Rad stundenlang getragen und … immer noch 60 Kilometer vor uns. In drei Stunden soll es anfangen zu gewittern. Wir sind in Italien und zu Mittag haben wir nur ein lieblos belegtes pappiges Baguette bekommen. Aber, und das hebt die Stimmung: jetzt geht’s ja nur noch bergab! Alles wird gut.
Tja. Dann schickt uns der Track in einen Wanderweg. Und auf einmal ist klar, wo die drei Kilometer Single Trail sind, die wir gestern auf der Karte nicht gefunden haben. Allen ernstes schickt uns Achim durch die Spluga-Schlucht nach unten. Und verschweigt, dass es ein 100%-Trageabschnitt ist. Ich weiß nicht, wann meine Laune das letzte Mal so schlecht war. Und kann mir niemanden vorstellen, der in diesem Augenblick gutgelaunt diese Schlucht hinunterwandert. Nicht mal Achim. Vielleicht frage ich ihn mal.
Endlich bekomme ich meine Teerstraße, aber dann sind mir Serpentinen, im strömenden Regen, umgeben von wilden italienischen Autofahrern auch nicht recht. Großer Vorteil des (glücklicherweise nicht lang anhaltenden) Regenschauers: Alle haben sich nach drinnen verzogen. Die letzten 30 Kilometer in der Ebene und am See nach Gravedona können wir ohne Fußgängerslalom einfach durchdüsen. Den Aperol haben wir gleich beim Check-In bestellt.

Praktischerweise haben wir uns normalerweise mit unseren Tiefs abgewechselt. Lisas schwieriger Tag war zwei Tage vorher – ich fand den super. Der Tag war erlebnisreich und mit 11,5 Stunden aber auch wieder lang. Das Ankunftsbier war an keinem Tag so lecker wie an diesem.

11 Stunden waren wir an mehreren Tagen unterwegs… Tag 3 hatte 2.300 Höhenmeter und Tag 1 nur 1.000, sonst waren wir immer bei unter/knapp 2.000. Das braucht Zeit. Vor allem, wenn man tragen muss. Beide hatten wir keinen Muskelkater und weder Hintern, noch Beine, noch Rücken haben Probleme gemacht – juhu!

Unsere Lieblingspause war für Bier & Kuchen. Das war ab Tag 1 ein geflügeltes Wort. Ein alkoholfreies Weizen mit einem sahnebehaubten Stück Kuchen a day keeps the doctor away!

Lisa zieht Zecken magisch an. Während unserer Tour war es nur eine. In Andeer. Die hatte sich am Knöchel eingenistet und ich habe sie mit der Zeckenkarte nicht rausbekommen. Mit dem Problem sind wir auf die Hotelterrasse. Während Lisa noch mit dem Stammtisch berät, was zu tun ist, hat die Bedienung die Sache schon in Angriff genommen und die Zecke mit den Fingern kompetent entfernt. Eine Minute später ist die Bedientung mit einem Schnaps wieder da. Dem berühmten, in diesem Augenblick von ihr erfundenem Zeckenschnaps. Eine Serviette anfeuchten, dann gleichzeitig die Bissstelle desinfizieren und den Rest trinken! Unser Herz erobert sie endgültig, als sie mir auch noch einen Schnaps bringt: fürs Mitleiden. Praktischerweise ist der Flachmann an diesem Tag leer geworden. Wir haben ihn gleich mit dem leckeren Kümmel füllen lassen.

Eine weitere Szene aus der Pfälzerhütte (die dem Liechtensteiner Alpenverein gehört). Ich sitze, gemütlich an den Kachelofen gelehnt, am schönen Holztisch, auf dem ein Strauß frischgepflückter Wiesenblumen steht. Während ich mein Brot mit Butter bestreiche frage ich, ob die Pfälzer noch was mit der Hütte zu tun haben. Während ich abbeiße, kommt die Antwort: “Gar nichts. Genau da, wo du jetzt sitzt, sind 1945 die beiden Deutschen, die die Hütte verteidigen sollten, von den Marrokanern erschossen worden, die im Auftrag der Alliierten unterwegs waren. Man sieht die Einschusslöcher noch.” Ich drehe mich um und habe das Brot nicht fallen lassen, aber… ja, die Löcher waren auf der richtigen Höhe.

Insgesamt war die Tour auch ein wunderbarer Urlaub von Corona. Da wir ja immer draußen waren, habe ich mich nicht gefährdet gefühlt. So war die – im Vergleich zu Deutschland – laxe Einstellung der Österreicher und Schweizer wunderbar angenehm. Keine Maske. Kein Angeben von Kontaktdaten bevor man ins Restaurant darf. Keine Zugangsbeschränkung im Freibad (sonst hätten wir in Nenzing nicht mehr reingedurft…).
Naja, und dann kam Italien. In unserem Hotel gab es das Frühstückbuffet nur noch auf dem Papier. Heißt, am Vortag hat man auf einem Zettel alles mit Menge (!) angegeben, was man am nächsten Morgen essen möchte. Und dann konnte man schon an den Tischen sehen, wer die Italiener und wer die Deutschen und Schweizer sind. Die Italiener hatten Kaffee, Saft, Croissant und einen Joghurt. Wir hatten einen Anbautisch für Müsli, Brot, Käse, Eier und Obstsalat…

Es sah tatsächlich so aus, als ob wir einen Alpencross ohne Platten schaffen. Lisas Profiluftpumpe hat eine viel zu junge, viel zu viel redende E-Bikerin davor bewahrt, zwei Stunden ins Tal schieben zu müssen. Wir hatten das Material selbst noch nicht benutzt und unsere Freude darüber schon ausgesprochen. Da passierte es dann. 40 Kilometer vor dem Lago Maggiore. Auf dem letzten Stück Trail. War ja klar 🙂

27 km vor dem Ziel, wenige Kilometer nach dem Platten ;), machen wir die letzte Pause. Sie gleicht einer Henkersmahlzeit: Wir packen unsere Rucksäcke aus und essen alles auf, was wir darin noch finden – die Cashews mit Cranberries, die Kekse vom Frühstücksbuffett, Brot und den Käse vom Mittagessen, die asiatischen Snacks, das letzte Stück Schokolade, … und sind traurig (ist es wirklich schon vorbei?), erleichtert (alles gutgegangen) und glücklich (was wir wunderbares erleben durften!) gleichzeitig.

Danke, Lisa, für die fantastische Tourenbegleitung!!
Ich habe lieber die Tour auf unsere Wunscheteappen angepasst, dafür hat sie uns unterwegs hervorragend navigiert und kannte jederzeit unseren Höhenmeterstand. Bergauf (fahrend oder tragend) war ich Eli Superschnelli, sobald es bergab ging ist Lisa mir davon gesaust und musste auf mich warten (und darauf, dass die glühenden Bremsen wieder abkühlen). Wenn wir nicht das gleiche bestellt haben, dann konnten wir uns zwischen den gleichen Gerichten nicht entscheiden und haben geteilt. Dunkle Schokolade mit Nüssen oder Mandeln ist die Beste. Es wurde uns beiden nach jeweils einem halben Ruhetag am Comer See und am Lago Maggiore schon wieder langweilig. Unsere dort gekauften Bücher haben wir in einem Abstand von fünf Minuten fertig gelesen und konnten diekt tauschen. Abfahrt je nach Etappenlänge spätestens um halb acht, Schnaps auf dem Pass, Bier nach der Ankunft und Aperol all day an den Pausentagen musste auch nicht besprochen werden.

Jederzeit wieder!
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